Sonntags Blüten

 

 

 

Lesen: Johann Peter Hebel. Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Breitgefächerte Volksbildung um 1800.
Hören: Steve Harley (73) ist gestorben. Gedächtnismusik ist angesagt. Seine Musik begleitet mich seit über 50 Jahren. Sowohl mit Cockney Rebel als auch Solo. Ein grossartiger Poet und Sänger.
Essen & Trinken: Ein feines gebuttertes Croissant mit hausgekochter Marmelade aus Blutorangen verspricht einen guten Tag.
Arbeiten: Hier nicht erwähnenswert.
Sehen: Re-Vision. Ein Querschnitt durch verschiedene Filme von Rainer Werner Fassbinder. Manche hoffnungslos überholt, manche sind interessante Zeitdokumente und wieder andere bleiben erschreckend aktuell.

 

Die Sonne blinzelt durch die Ritzen des Fensterladens. Ich bin ein Frühlingskind. Rasch raus. In das kleine Dorf am Rand der rheinessischen Schweiz. Der Hochnebel lichtet sich langsam. Der Nordhang hinter dem Dorf wird von fahlen Sonnenstrahlen gestreift. Unser Ziel. Hier blühen die gelben Waldsterne, Blausterne. Lerchensporn in weiss und violett.
Blumen, die so selten sind, dass sie auf der Roten Liste ganz weit oben stehen. Sie bilden einen blühenden Teppich auf dem feuchten moosigen Waldboden. Der Anblick ergreift und geht einem zu Herzen. Zwischendrin kleine weisse Anemonenblüten. Ein rutschiger schmaler Pfad führt durch eine Fläche von etwa einem Morgen. Keine Menschen stören die Andacht. Als wir die Blütenpracht verinnerlicht haben, machen wir uns auf den Rückweg.

Zur rechten Zeit. Am Dorfrand tauchen die ersten freilaufenden Hunde auf. Wir nehmen die Autobahn nach Hause. An den Rändern die zerfetzten Büsche und Sträucher. „Wächst doch alles wieder nach, gell.“ Ein Spruch, den sich allenfalls fühllose Kettensägenproduzenten und Schredderhersteller ausgedacht haben. Und die kommunalen Ahnungslosen plappern das fröhlich nach und lassen die Sägen kreischen.

Nach einem Frühstück nutzen wir den Sonnenschein zu einer kleinen Radtour. Zudem eröffnet heute unsere beliebte Gartenwirtschaft ihre Saison. Auf dem Weg dorthin wollen wir unseren grossen Holunderbusch  ansehen und gut zusprechen. Im letzten Jahr beschenkte er uns mit seiner üppigen Fülle. Aus den Blüten wurde unser köstliches Holunderblütengelee. Aber, oh weh(!). Auch über ihn hatten sich Rohlinge hergemacht. Er konnte niemanden wirklich gestört haben hier am Rand eines besonderen Vogelschutzgebietes. Ein Bild des Jammers bot er. Mutwillige Zerstörung. Ich will glauben, dass ihm unsere Trostworte für einen Moment geholfen haben.

Wir freuen uns auf die Einkehr in dem ehemaligen Forsthaus im Wald. Als wir näherkommen sehen wir das Ungetüm. Ein grosser Traktor blockiert den Weg. Radfahrer und Wanderer müssen sehen, wie sie daran vorbeikommen. Hinten dran der Spassanhänger für die Gesellschaft der Partytrinker. Als wir unsere Fahrräder anschliessen, kommt einer aus der Gesellschaft mit einer monströsen Krawallbox aus dem Tor. (Er war gebeten worden, seine Krachmaschine vor das Tor zu stellen.
Vom Hänger aus wird nun der Hof mit Ballermannmusik beschallt. Etliche Menschen schütteln still mit den Köpfen, die Mehrheit schweigt jedoch. Die Säufergesellschaft muss nun noch lauter grölen, dass auch niemand ihren flachen Witzen entgehen kann. Alkoholpegel und Lautstärke lassen sich mühelos noch weiter steigern. Die Bewirtung nimmts achselzuckend hin; die Gesellschaft belebt immerhin schluckweise das Geschäft. Wir verziehen uns in die hinterste Ecke mit unseren Getränken. Das Kommando zum Aufbruch ruft die Spassvögel auf den Anhänger. Der Fahrer torkelt hinters Steuer seines Schleppers. Weg sind sie. Im Wald wird es wieder ruhiger.

Anschliessend machen wir uns auf den Weg nach Hause. Im Garten haben wir ein kleines Fleckchen Blausterne. Wir erfreuen uns daran und lassen den Tag Revue passieren. Es gibt ruhige Plätze. Seltene Naturschönheiten. Noch immer, mann muss sie nur finden.
Dem Zugriff, Missbrauch und der Verschandelung ist die Natur scheinbar ohnmächtig ausgeliefert. Mir erzählte eine alte Frau vor vielen Jahren, dass Bäume, Sträucher und Buschwerk die Erde vor den Unbilden des Wetters so schützen, wie das die Haare auf den Köpfen der Menschen täten. Immer mehr wird weggesägt, abgeschlagen und herausgerissen. Spürbar nehmen die Winde zu im Land. Ich frage mich, ob die zunehmende Aggression im zwischenmenschlichen Bereich damit zusammenhängt, dass wir ständig Winden ausgesetzt sind. Wer hier in der Gegend noch mit eigener Kraft sein Fahrrad bewegt, kann feststellen, dass man fast immer Gegenwind hat. Vielleicht ist die Natur mächtiger als man gemeinhin denkt.

 

 

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26 Gedanken zu “Sonntags Blüten

    1. Den ersten Teil des Satzes unterschreibe ich. Im zweiten Teil, machen mir allenfalls die unschuldigen Menschen Sorgen, die es treffen wird. Leider triffts in der Regel ja nicht die Verursacher.

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  1. „Ich frage mich, ob die zunehmende Aggression im zwischenmenschlichen Bereich damit zusammenhängt, dass wir ständig Winden ausgesetzt sind.“
    Dazu: Gestern auf dem Lidl Parkplatz nach dem Einkauf, während ich die Parkplatzausfahrt selbstbewußt querte, mir als Fußgänger den Vortritt nahm, ein fetter amerikanischer PickUp-Fahrer darüber sauer, kommt frontal auf mich zu, beschleunigt scharf und rauscht zentimeternah an mir vorbei!
    Das ist nur eine Begebenheit von vielen ähnlichen. Bisher hat mein selbstbewußtes Auftreten immer dazu geführt, daß Autofahrer abbremsen, manchmal im letzten Moment. Befeuern Parkplätze agressives Rowdytum?

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      1. Dann sind wir schon 2 und ich bin nicht mehr alleine, womit ich mich schon abgefunden hatte. Auf diesem besagten Parkplatz beobachte ich nämlich, daß alle Passanten stehen bleiben sobald in der Ferne ein Auto auftaucht. Ja, so lernen die es nie! Die denken womöglich: „Aua, die sind aber höflich!“ und denken: …diese Idioten, na, ich bin eben der King Of The Road in meinem teuren, riesengroßen, schnellen, SUV! Also: „Platz da! Widerstand ist zwecklos!“

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    1. Ich trete im öffentlichen Raum mittlerweile aus freien Stücken zurück. Da ich meistens mit dem Fahrrad unterwegs bin, ist es für mich sicherer, andern aus dem Weg zu fahren. Ganz besonders den Angehörigen jener Kulturen gegenüber, die sich im Verkehr hierarchisch verhalten, d.h. von ihrer schwarzen Limousine (oder SUV) nach unten schauen. Ich hör´schon auf zu schreiben, sonst würde ich weiter ins Detail gehen.
      Bei Angehörigen dieser Kulturen befeuert ihr Fahrzeug ihr aggressives Rowdytum. Gibts für Rowdy auch eine feminine Form?

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      1. Mit dem Fahrrad würde ich es genau wie du machen, bloß weg von den SUV-Köppen! Mit dem Fahrrad fährt man ja auch schon eine gewisse Geschwindigkeit, so 20 KmH vielleicht, und wie langsam das Ausweichen auf 2 Rädern geht, weiß ich auch noch… schade, daß du nicht ins Detail gehen willst, wäre bestimmt spannend und unterhaltsam! Mein geschilderter Vorfall steckt mir heute noch in den Knochen, da hilft es auch nicht, daß ich diesem Angehörigen jener Kulturen von Idioten in seinem schwarzen PickUp das A*******h Wort lautstark hinterherrief.

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  2. das mit den angefressenen und zerrupften hecken und sträuchern und bäumen am strassenrand halten wir für unerträglich. es schmerzt die pflanzen und tut unseren augen weh. in privatgärten und anlagen gibt es dafür den praktischen rundschnitt, weil jeder doof einen elektroschere oder eine motorsäge schwingen kann. da ist egal, ob es ein blühstrauch ist, der auf neuem holz blüht, oder einer, der gerade knospen hat. alle werden gleichschlimm geschnitten, praktisch, ohne kenntnis der botanik. uns blutet das gärtnerherz, es geht ein stück gartenkultur verloren. und im wald rasen sie mit fahrrädern und stirnlampen durch die gegend, ohne das die schönheit sie berühren kann. tiere kommen da nicht vor, die müssen sich nischen suchen…, sogar auf dem friedhof stören die bäume, weil sie blätter auf die steinplatten werfen. lieber robert, zum glück ist die natur stark und es gibt die menschen, die sich freuen.

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    1. Ich danke dir für deinen Kommentar. Ich freue mich jedesmal, wenn ich bemerke, dass es anderen Menschen auch so geht. Dass sie wahrnehmen, was mit den Pflanzen, die ja auch Lebewesen sind, tagtäglich angerichtet wird.

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  3. Die Erde reinigt sich selbst (indianisch). Derweil wird der Menschenbestand heftig dezimiert oder eben verständiger werden müssen. Beim letzeren habe ich so meine Zweifel, aber immer noch Hoffnung.

    Guten Morge dir & Grüße, Reiner

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    1. Da ich an diese spezielle Lernfähigkeit nicht mehr glauben kann, bin ich für die Dezimierung. Aber da wird es bedauerlicherweise die Falschen treffen…
      Dir einen schönen Feierabend,
      Robert

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  4. „Es gibt keine Zufälle.“(Zitat „Ärmel“) Am Wochenende feierten wir Omas Geburtstag nach und gingen deshalb 2x Essen in unsere beiden idyllischen Lieblingsrestaurants der alten Heimat. Aber nun auch dort: Obwohl die immer gut bis sehr gut frequentiert wurden und immernoch voll sind, haben nun auch die die Tische so eng stehen, dass niemand mehr zum Klo kommt, ohne den Hintermann zu drängeln, mit der Rückenlehne herumzuhakeln, nahezu auf dem Schoß von fremden Leuten zu sitzen… dazu das Gebrüll der Gästeschar: Unterhaltung unmöglich. Du kriegst das Erzählen deines Gegenübers nicht (mehr) herausgefiltert aus dem, was hinter dir vielstimmig beschwätzt wird. Das Ende von „Genuss“. Machen wir’s in Zukunft wie die Russen: Kochen wir wieder zu Hause, wenn Gäste kommen.

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      1. …das habe ich schon öfter gehört. Aber es gibt auch Menschen, die auch ohne Hörgeräte nichts mehr verstehen in einem Stimmenwirrwarr. Das geht mir schon teilweise so.

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    1. Ich mag russische Menschen; meine persönlichen Erfahrungen waren durchweg positiv.
      Ansonsten volle Zustimmung. Zuhause feiern. Kein Gebrüll und kein Gemache. Zusammensein geniessen, Gespräche führen und sich amüsieren. Gutes Essen kann man sich inzwischen ja auch von tauglichen Caterern bringen lassen.
      Andererseits kann man Gasthäuser oder Restaurants auch zu ungewöhnlichen Zeiten aufsuchen und entgeht der Massenatzung.

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    1. Wenn es richtige mit Butter gebackene Blätterteighörner sind, braucht man eigentlich garkeine Butter zusätzlich. Das ist halt meine Gewohnheit. Eine wohlschmeckende Gewohnheit auf jeden Fall.
      Fein, wenn dir auch andere Schilderungen gefallen haben.
      Gruss über die Ufer hin

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  5. Oh, was für ein schönes Stückchen Wald! So ein feiner Anblick! Als krasser Gegensatz zu den abgerupften Pflanzen.

    Wenn hier die Stadtgärtner an den Spazierwegen des Natur“schutz“gebietes herumgegangen sind, könnte ich weinen. Unfassbar, wie mit Maschinen an den Sträuchern gerissen wird. Das scheint also überall so zu gehen. Mein Gefühl ist, dass da Menschen am Werk sind, die ihre Arbeit nicht mögen, keinen Bezug zur Natur haben, schon gar keine (Landschafts-) Gärtner sind.

    Schade ebenso, dass diese Bespaßungen immer so laut sein müssen. Dazu muss ich nicht einmal in die Gastronomie gehen. Generell erlebe ich Menschen hier in der Stadt, egal wo, als lärmend und laut. Als Frau der leisen Töne kann ich es nicht nachvollziehen. Vielleicht bin ich auch nur eine sogenannte „Spaßbremse“, da fehlt mir vielleicht ein humorvolles Gen…

    Beste Grüße,

    Syntaxia

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    1. Die Absägerei, Abschlägerei und Kahlschnitte sind bundesweit zu beobachten. Und gerade jetzt zur Nist- und Brutzeit ist es geradezu hirnrissig, die wichtigen Rückzugsgebiete der Singvögel zu zerstören.
      Die Menschen, die da mit ihren Werkzeugen losgelassen werden, haben meiner Meinung überhaupt keinen Bezug zu den Pflanzen. Da wird nach dem Terminkalender des Kahlschlags gearbeitet. Spricht man diese Leute an, so erhält man regelmässig die gleiche Antwort: Das wächst doch wieder nach…

      Lärm und Krawall haben Konjunktur. Bedauerlicherweise

      Schöne Grüsse,
      Robert

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