Musik liegt in der Luft (i)

 

Lesen: Christian Penning: Bike History. Die Erfolgsstory des Mountain Bikes. Fraglich, ob der E-Bike-Hype ohne die Mountainbikes in diesem Umfang möglich gewesen wäre.
Hören: Allan Holdsworth – Avatachron (1986) – Ein Gitarrist, der trotz seiner musikalischen Fähigkeiten ein Geheimtipp geblieben ist.
Essen & Trinken: Gebackene Blutwurst, Kartoffelstampf und hausgemachtes Apfelkompott. Sauergespritzter im Gerippten.
Arbeiten: Literatur aussortieren für öffentliche Bücherschränke.
Sehen: „Ophelia“ (2018). Shakespeare auf feministisch. Kann man versuchen. Ausstattung sehenswert. Versuch gescheitert.
Als Ausgleich drei tolle Frauen. Drei Generationen Thalbach in einer schnellen turbulenten Komödie. „Wir sind die Rossinskis“ (2016). Ein sehr amüsantes Vergnügen.

 

 

Auf einem Blog in der Nachbarschaft erstellte der Betreiber eine Liste zu verschiedenen Fragen musikalischer Vorlieben. In dem Beitrag wurden die Besucher aufgefordert, diese Fragen ebenfalls spontan zu beantworten. Für mich sind Listen zweischneidige Schwerter. Mein Aszendent schreit sofort: Auflisten! Andererseits fiel mir rasch auf, dass ich die Fragen so eindeutig garnicht beantworten konnte. Da Musik in meinem Leben eine starke Rolle spielte, ging ich mit den Fragen des dortigen Blogs eine Weile um und bedachte sie in Ruhe.

 

Musik. Ich vermute meine Urgrossmutter als Auslöser. Meine Eltern und Grosseltern habe ich nie singen oder musizieren gehört oder gesehen. Aber die Urgrossmutter. Da sehe ich noch immer Szenen in der Küche vor mir. Ihre leicht brüchige Stimme klingt mir nicht mehr im Ohr.

Die Tiroler sind lustig,
die Tiroler sind froh;
sie haben keine Betten
und schlafen auf Stroh.
Ru di ru di ral lal la…

Dieses Liedchen und nur diese eine (zweite) Strophe hat sie mir immer wieder vorgesungen. Irgendwann konnte ich mitsingen. Als ich mit etwa fünf Jahren zu den Pfadfindern kam, sind dann ganz andere Lieder gesungen worden. Von manchen dürfte ich wahrscheinlich nicht mal mehr die Titel hierher schreiben, ohne um die Folgen fürchten zu müssen. In der Mehrzahl sangen wir  jedoch bekannte Volkslieder.

Im Alter von sieben oder acht Jahren entdeckte ich das Musikmöbel meiner Eltern. Meines Vaters genauer. Denn es war wie beim Autofahren. Der Vater gab den Ton an. Ein Musikmöbel zu dem sein Name passte: Schaub-Lorenz Ballerina Konzert Stereo 10 MD.
Da sass ich nach den Hausaufgabe davor auf dem Fussboden. Öffnete die Klappe in der Mitte und schaltete die Apparatur ein. Meine Eltern hatten etwa zwanzig Singles und einige Langspielplatten. Ich legte die Singles auf den Plattenteller, setzte vorsichtig den Tonarm auf die erste Rille und lauschte. Ich träumte mich weg. Erst sehr viele Jahre ist mir bewusst geworden, dass beim Lesen die inneren Bilder von alleine aufsteigen. Beim Musikhören hingegen schuf ich mir die Bilder selbst. Meine Kindertherapie.
Connie Francis – Bacarole in der Nacht, Gitte – Ich will nen Cowboy als Mann, Gus Backus – Da sprach der alte Häuptling der Indianer sind einige Beispiele. Daneben gab es einige Singles von Herbert Hisel. Da verstand ich manchen Sinn zwar nicht, aber es gab trotzdem was zum Lachen. Die Langspielplatten von James Last und Max Greger interessierten mich ebenso wenig wie Das goldene Richard Tauber Album.
Und dann war noch die Single mit dem Schlösschen am unteren Rand. Für Jugendliche nicht erlaubt. Der Schlüssel war nicht im Plattenfach. Er schien überhaupt nirgends zu sein. Aber Not macht erfinderisch. Am Ende erklang eine Moritat. Allerdings etwas anderer Art als Sabinchen war ein Frauenzimmer.
Radio hörte ich kaum. So verging das Jahr. Ich sang bei den Pfadfindern und zur Musik von den Schallplatten.

Im folgenden Jahr verbrachten wir die Sommerferien an einem See im Salzkammergut. Unsere Unterkunft würde man heute als Landhotel bezeichnen. Hotel, Kneipe und eine Landwirtschaft in einem. Uns Kindern war das Wasser im See zu kalt. Die Erwachsenen lachten uns deswegen aus. Bei einigen Burschen reichten vereinzelte Haupthaare bis an die Oberkante ihrer Ohren. Die Erwachsenen überschütteten sie mit ihrem Spott.
In der Wirtschaft stand eine Musikbox. Die Alten steckten Münzen in den Schlitz der Maschine, drückten Tasten und volkstümliche Musik erklang. Wenn die Burschen in die Kneipe kamen, bedienten sie ebenfalls die Musikbox. Schon bei den ersten Klängen war nichts mehr wie zuvor.

Kaum begann das Lied erhoben die Alten lautstark ihre Stimmen. Schimpften über die ****musik, die langhaarigen ****burschen und verlangten vom Wirt, die *****platte rauszuschmeissen. Auch meine Eltern und deren mitreisende Freunde gaben ihre Kommentare mit gedämpfter Stimme zum Besten. Der Wirt schwieg und liess sich von dem pöbelnden Gerede nicht beeindrucken.

Wieder zuhause klangen die Singles im Musikmöbel irgendwie langweilig. Tausendmal gehört. Im Fernsehen tauchten neue Sterne auf. Fan bin ich nicht geworden, aber diese Sängerin fand ich richtig klasse.
Zufällig hörte ich im Radio Rag Doll. Damit bin ich für dieses Wundergerät wach geworden. Nun musste ich bloss noch neue aufregende Lieder finden. Es war ein halbherziges Unterfangen. Bei den Pfadfindern begleitete ein älterer Pfadi unsere Lieder auf der akustischen Gitarre.

Mein nächster Geburtstag stand an. Eine Schallplatte hätte ich mir gerne gewünscht: nur welche, das war die grosse Frage. Ich bekam, was man zehnjährigen Buben schenkt: Bücher, einen Bausatz für ein Modellauto. Das übliche halt. Bis auf das flache quadratische Geschenk von meiner Tante. Meine erste Langspielplatte. A Hard Day´s Night von The Beatles.

(Fortsetzung folgt)

 

 

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36 Gedanken zu “Musik liegt in der Luft (i)

    1. Ich bin in der ersten Folge und auch in der zweiten Folge wird es so bleiben. Und was bei mir so war, kann bei anderen Menschen ganz anders (gewesen) sein.
      Aber bedenkenswert ist die Wahrnehmung doch.

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  1. Es gibt ja ein paar skurrile, höchst amüsante Schlager, die Mitte der 60er bis Anfang 70er entstanden sind. Markant z. B. der Song „Wir“ (Textprobe: „Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden? – Wir! Wer hat den Mut sich für euch zu schämen? Wir!“) von Freddy Quinn, sozusagen das deutsche Pendant zu Merle Haggards reaktionärer Anti-Hippie-Hymne „Okie from Muskogee“. Als Gegenpol dazu das ironische witzige „Wir sind verlauste Affen“ des Berliner Komikerkollektivs Insterburg & Co (mit Karl Dall). Natürlich gab es auch Anti-Vietnam-Stücke, beispielsweise von Schauspieler Manfred Krug, oder das Antikriegsstück „Unbekannter Soldat“.

    In der Schweiz waren damals auch einige französische Stars sehr beliebt. Wir haben gerne Francoise Hardy, Jacques Dutronc, Michel Polnareff und France Gall gehört. Aber auch die unvermeidliche Wencke Myhre, die grandiosen Deutsch-Hippies Witthüser & Westrupp und Juliane Werding mit ihrem „Am Tag als Conny Kramer starb“ möchte ich hier noch erwähnen. Mit nachträglichen Neujahrsgrüssen –

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    1. Die Grüsse für ein gutes und wohlklingendes Jahr gebe ich gerne auch zurück.
      Die hast einige Namen erwähnt, die in den kommenden Folgen noch Erwähung finden werden. Interessant finde ich, das zwischen etwa 1960 und 1975 eine sehr grosse Menge Geld investiert worden ist in die Geschäfte mit der populären Musik. Ohne diese Gelder wären manche Musken nie erschienen und manche Gruppen hätten wir kennengelernt.

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    2. da geht bei mir das gedankenkarusell los, genau ein teil meiner musikalischen geschichte: zuerst donovan, little eve, dire straits, marley, später auch protestsongs von bots oder wader, schobert und black… zu verschiedenen zeiten hörte ich sehr unterschiedliche musik. mache ich auch heute noch, besonders gerne singe ich auch, aber ohne können, nur aus freude. unsere enkel kennen viele lieder, auf fahrten in den urlaub auch politische lieder, dann redeten wir darüber, victor jara, das bürgerlied…

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      1. „…gerne singe ich auch, aber ohne können, nur aus freude…“ Das geht mir genauso. Von den Namen, die du nennst, werden einige noch genannt werden in kommenden Fortsetzungen…

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      1. Ja, das stimmt, ich hatte eins selbst gebaut aus dem Gehäuse eines ausrangierten Nordmende Fernsehers. Da habe ich dann ein Röhrenradio und einen 78/45/33 er Plattenspieler vom Sperrmüll integriert. Meine allererste Platte war Wish you were here und die zweite The dark side of the moon. Dann kam ganz viel Soul, Country und Woodstock von den Amys, bei denen mein Onkel schneiderte.

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  2. Hach Musiktruhe, Klangmöbel, what ever…
    Einerseits die alten Holzkastenradios mit diesen Städtenamen-Skalen; andererseits die wirkliche „Truhe“ aus der ich damals per Mikrophon die „20 Uhr“ vom Reinhard Mey aufnahm. Dumpf, aber irgendwie „voluminös“ klingend. So unzerstörbar irgendwie. Ewigkeitsanspruch!

    Und alter Schlagermüll, der so im Ohr geblieben ist:

    „Dat hevv ick ja noch niiiie hört! Min Hemd dat is n Tiiiiii-Shört!“ (Medium Terzett)

    „Der Mann mit dem Panamahut,
    Panamahut, Panamahut,
    der kennt all die Mädchen so gut
    und weiss sie zu verwöhnen.“ (Nina Lizell)

    „Adelheid! Aaaaadelheid! Schenk mir einen Gartenzwerg (mit ner Zipfelmütze!)
    Adelheid, Aaaadelheid! (Einen mit ner Wasserspritze!“ (Keine Ahnung von wem.)

    Frohsinn eben.

    Aber dann kamen Slade und der Frohsinn wurde englisch.

    „getdownandgetwithit! lets stomp your feet! Clap all your hands! Shout! getdaunändgetwiffit, gettaunändgettwiffit ohlreitjehr! Sing! all right yeahr!“

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    1. Der warme Klang dieser alten Möbel wird heute synthetisch hinzugemischt. Spätestens mit den DDD-CDs kroch die klangliche Kühle aus den Lautsprechern.

      Tja, die alten Schlager. Da hat viel später der Heller und der Lindenberg das entsprechende Material geliefert, um die wirklich alte Schlagerwelt zu erkunden.
      Läuft hier noch heute gelegentlich.

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  3. Wir hatten eine Grundig-Fleetwood Stereo Console SO102/60CA (habe es recherchiert 😉 ), die übte eine große Faszination auf mich aus.
    Erst Märchen- und Hörschallplatten, später Dracula auf Europa mit Charles Regnier als Ober-Vampir.

    Dann die Schallplatten der Eltern, Glenn Miller fand ich cool und „The Lonely Bull“ oder so ähnlich, ziemlich schmissige Musik mit großen Bläser-Sets, u.a. mit der Urfassung von Mambo No. 5. Frühe Sechziger. Die habe ich noch…

    Später besaß ich dann Led Zeppelin III und ich habe beim Hören den Kopf fast in die Musiktruhe gesteckt, denn sie konnte schon Stereo. Allerdings befanden sich die Lautsprecher links und rechts an den Seitenwänden und die Truhe sollte eigentlich diagonal in die Ecke gestellt werden, damit die Lautsprecher über die Wände reflektieren konnten, aber da stand das Ding natürlich nicht.

    Es sah wohl recht lustig aus, wenn ich Musik gehört habe…

    https://www.radiomuseum.org/r/grundig_fleetwood_stereo_console.html

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  4. Musik lag und liegt in der Luft!
    Ganz fasziniert las ich deine Erlebnisse und glich sie dabei mit der eigenen Vita ab, die so ganz anders verlief. Grundsätzlich ein anderes System, um Osten grossgeworden, eher sehr bescheidene Verhältnisse in Großfamilie, Raum ARD , zu deutsch Empfang
    überall: A-ußer R-aum D-resden.
    Radio Luxemburg und der
    Soldatensender mit kurzen Sendezeiten verbanden mich mit der Welt.
    Auch später in Berlin hielt sich mein Interesse an Musik/Konzerten in Grenzen und ich wurde eher zum Kino/Theater/Bücher Freak. Wenn ich das jetzt alles lese, kommt die Frage, ob ich etwas verpasst bzw. vermisst habe?
    Schön finde ich die Sätze,
    dass beim Lesen innere Bilder von alleine aufsteigen, während Musikhören Bilder in sich selber schafft, die einen wegträumen lassen. Diese von allein aufsteigenden Bilder verführen mich beim Lesen oft zum Träumen.
    Ich bin immer wieder über deine detailgetreuen Erinnerungen überrascht und auf die Fortsetzung gespannt.
    LG

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    1. Je nun, der Eine hälts mit der Musik, so wie ich. Kino kam dann später. Von Karl May Filmen mal abgesehen. Und gelesen habe ich als Kind viel. Die Sucht nach Bildern, die sich über die Bilder der täglichen Kindheit balsamierend gelegt haben.

      Erinnerungen lassen sich überprüfen. Ist nicht sehr beliebt, weil man ohne Prüfung besser klittern kann. Ich überprüfe sie schon aus Neugier an meiner eigenen Vergangenheit. Und bei anderen überprüfe ich auch öfter die gemachten Angaben.
      Viele Grüsse
      Robert

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  5. Zustimmendes Lächeln huschte übers Gesicht beim Lesen und die Gisela hatten wir auch. Mein erster Plattenspieler war so ein kleiner Koffer-Dual, auf den man aber 10 kleine Platten auflegen konnte. Zu unterst lag immer der Babysitter-Boogie -:))
    Ich freue mich auf die Fortsetzung…..
    Nur regnerische Grüße aus dem Seeland – wir bleiben vom Chaos verschont, Karin

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    1. Ein Koffer-Dual wird demnächst auch hier Erwähnung finden 😉
      Ach, Ralf Bendix mit dem Babysitter Boogie. Dazu passt dann auch der Hans Blum – Charlie Brown 😉
      Nachtgruss aus der Mainspitze
      Robert

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  6. Mein Vater traktierte meinen Bruder und mich schon früh mit klassischer Musik, dirigierender Weise zum gemeinsamen sonntäglichen Frühstück! Für uns war Mund halten angesagt… was mich unweigerlich in die Gegenrichtung trieb, Troggs, Animals, Yardbirds, Who usw. Radio Caroline, London, Veronica, BFBS… da hatte er den Salat und ich meine Passion und Liebe!

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    1. Geanu – die Gegenrichtung. Wir hatten wenigstens noch reibungsflächen, an denen wir uns entwickeln konnten.
      Statt BFSF wars hier der AFN mit Wolfman Jack, ya know…
      Aber die Bands sind die gleichen …

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  7. Die gebackene Blutwurst ist interessant, ich kenne nur die gebratene Leberwurst…. Die alten Schlager kenne ich nahezu alle…. hatte mir mal die meisten von LP auf Kassette überspielt und dann nochmals auf CD gebrannt. Grund waren Diashows zu runden Geburtstagen der älteren Generation – die Alten haben geweint, die Jungen gelacht, allein das war es wert, die Texte tausendfach durchzuhören und die richtige zum Bild (Dia) passende Stelle herauszufinden.
    Mein Lieblingsschlager war übrigens von Severin die Originalversion von „Un banc, un arbre, une rue“. Ich weiß bis heute nicht über was da gesungen wird … jetzt weiß ich es, interessant, vor allem der deutsche Vergleich (mach die Augen zu). Soso. Und dann käme schon Demis Roussos. Vielleicht war er der Auslöser für meine spätere musikalische Hinwendungen….
    Sei es drum.
    Von meinen frühen Winnetou LPs habe ich Winnetou III bis heute nicht fertig gehört. Kann mich zumindest nicht daran erinnern.
    Die besagte Listenanfrage empfand ich im ersten Moment auch schwierig – habe mich dann aber für die Momentaufnahme entschieden, wir sind ja locker. Und morgen ist ein neuer Tag.
    Ansonsten ist die musikalische Entwicklung eine spannende Sache.
    („In der Taverne kehrt‘ ich ein
    Da sah ich dich beim Kerzenschein
    Und nach dem ersten Tanz mit dir
    Hat sich die Welt gedreht mit mir
    Die Bouzouki die Nacht und der Wein
    Ja sie Läuteten für uns die Liebe ein
    Als die andren schon alle gegangen
    Schien der Mond nur für uns ganz allein“)

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    1. Habe ich gebackene Blutwurst geschrieben? Sie ist selbstredend gebraten worden.
      Die alten Schlager habe ich kaum, dafür aber die berüchtigte Box mit 8 CDs von Bear Family Pop in Germany. Internationale Schlager eingedeutscht von den damals üblichen Verdächtigen gesungen.
      Ich finde die musiklische Entwicklung ebenfalls spannend. Aus diesem Grund habe ich angefangen, darüber zu schreiben. Und ich werde jetzt weiterschreiben.
      Mit klingenden Grüssen,
      Robert

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