leben trauern feiern

 

Lesen: Technische Daten zu alten Fahrrädern. Dazwischen dies und das.
Hören: John Paul Jones – The Thunderthief (2001). Der ehemalige Led-Zep Bassist. Heavy Progressive Rock steht auf der Schublade.
Essen & Trinken: Viel Gemüse. Mehr Wasser.
Arbeiten: Bei zwei Bauer Fahrrädern habe ich mir zu viel Zeit gelassen. Die Arbeiten daran will ich jetzt abschliessen.
Sehen: „Heute stirbt hier Kainer“ (2021). Eine herrliche Tragikomödie. So viel wirkliches Leben. Gedreht an illustren hessischen Schauplätzen.

 

Das Jahr 2023 ist Geschichte. Sogar der Anfang dieses Satzes ist, wenn der Punkt am Ende gesetzt sein wird, bereits Geschichte. Ich habe im vergangenen Jahr mein Testament gemacht. Das war mir wichtig.
In diesem Zusammenhang gewann ich Einblicke in das Geschäft der etwa 5000 Bestattungsunternehmen in Deutschland. Ein Milliardengeschäft mit der Trauer der Hinterbliebenen. Ihre Gefühle machen sie gleichsam wehrlos gegen fragwürdige Methoden.
Der Bruder meines Freundes war verstorben. Er lebte im Hunsrück. Es war sein Wunsch auf See bestattet zu werden. Mein Freund erzählte mir das alles bei einem Spaziergang an der Ostsee.
Was mich erstaunt, sagte er, dass zu den Kosten noch etwa dreitausend Euro für den Transport der Urne hierher kommen. Man darf nämlich in Deutschland eine Urne mit Inhalt nicht selbst transportieren.
So unterhielten wir uns. Über den Bruder, sein Leben und seinen Tod. Auch darüber, ob man Bestattern ausgeliefert sei, weil man nach dem Tod eines Angehörigen kaum Zeit hat, verschiedene Angebote für die Bestattung einzuholen. Wir besprachen das Thema lang und breit und kamen an den Rand der kleinen Ostseestadt. Da erblickten wir ein Bestattungsunternehmen.

Warum fragst Du da nicht mal nach den Kosten für eine Seebestattung? Und vielleicht ist es ja günstiger, die Urne aus dem Hunsrück zu holen anstatt sie von dort hierher bringen zu lassen. Kilometermässig ists die gleiche Strecke, aber wer weiss. Mein Freund trug dem Bestatter sein Anliegen vor. Der Mann beriet ebenso freundlich wie sachlich. Stellte ganz unterschiedliche Varianten vor.
Ich habe noch eine andere Frage, sagte mein Freund, wie kommt denn nun die Urne mit der Asche meines Bruders hier zu Ihnen?
Das ist überhaupt kein Problem in Deutschland. Über DHL gibt es einen eigenen Urnenversand. Für Urnenkarton und Versand rechnen Sie noch fünfundvierzig Euro hinzu.
Mein Freund erteilte noch vor Ort dem Bestatter den Auftrag.

Das war vor acht Jahren. Ich habe eben nochmal recherchiert. Inzwischen kostet der Urnenversand fünfundsechzig Euro und neunundneunzig Cent.

 

Wir haben vorgestern einen ehemaligen Klassenkameraden begleitet. Der Ruhewald liegt hoch über dem Rhein. Verwandte, viele Freunde und Nachbarn gingen schweigend auf dem weichen Waldboden hin zum Trauerplatz. Zuerst sprach der Bestatter einen beschämend schlechten Standardtext. Durch überflüssige Wiederholungen künstlich in die Länge gezogen.
Danach sprachen der hinterbliebene Bruder und ein enger Freund ergreifend herzliche Worte. Es schien, als stünde der Verstorbene wieder mitten unter uns. Sie erwähnten seine sozialen Stärken und überhaupt seine vielen verschiedenen Talente. Er spielte beispielsweise Saxophon. So gaben ihm auch seine vormaligen Mitspieler das musikalische Geleit. Der Wohlklang des Sax-Oktetts erfüllte den Wald. Anschliessend gingen wir einige Meter weiter zu dem Platz, an dem die Erde bereits ausgehoben war. Während wir uns nacheinander an dem Erdloch mit der Urne mit einigen Rosenblättern verabschiedeten, ergriff ein Trauergast seine Gitarre und ein Lied wurde angestimmt: Always look on the bright Side of Life.

 

Im Mittelalter stellte man sich vor, dass sich die Menschen freuen, wenn ein Kind geboren wird und dass die Engel über den Abschied weinten. Starb hingegen ein Mensch, weinten die hinterbliebenen Menschen und die Engel tanzten vor Freude über die Ankunft der Seele des verstorbenen Menschen.

 

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30 Gedanken zu “leben trauern feiern

  1. Ja, Tod und Teufel! Deine Lebensnovelle „leben trauern feiern“ trifft mich ins Herz, da mein lieber Freund Theo am 4. Januar seine letzte Reise antrat. Er war ein großer Griechenland Bewanderer und Kenner, siehe hier sein Vermächtnis:

    Eine Art Impressum


    oder hier:
    https://theo48.wordpress.com/
    Er wird in einem Ruhewald nahe Venlo anonym begraben. Als ich ihn vor 4 Wochen aus dem Krankenhaus abholte, war er so niedergeschlagen: „Scheiße, wenn man alt wird und alleinstehend ist“… Er ist der vierte liebe Herzensfreund, der mich innerhalb eines Jahres verlassen hat und ich freue mich jeden Morgen aufzuwachen und meine Sibylle wieder zusehen und mit ihr ein gemütliches Frühstück zu nehmen im Sinne von „leben trauern feiern“! Das tröstet!

    ps.: Deine „Dass…“-Wunschliste mit kleinen persönlichen Änderungen aus „Zum Jahresende“ habe ich am schwarzen Brett in der Küche hängen. Die ab und zu zu lesen tröstet auch!

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    1. Ich habe mich mal auf die Schnelle durchgeklickt. Da wusste jemand, von bzw. über was er schreibt. Dazu aussagekräftige Fotografien. Das gefällt mir gut. Und erinnerte mich an den Film „Z“ von Costa Gavras…

      In meinem Umfeld waren es in drei Jahren vier Freunde/Bekannte: alle alleinstehend. Ich frage mich, ob Beziehungen bei allen Herausforderungen widerstandsfähiger machen.
      Bald nach dem Aufwachen zu lachen gibt einen guten Start in den Tag. Mit dem Frühstück halten wir es ebenso. Dann ist der halbe Tag bereits positiv verlaufen.

      Dein ps.: berührt mich. Vielen Dank dafür

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  2. Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll, vielleicht im Mittelalter, sehr schöne Vorstellung, dann die Sache mit dem sterben, immer ein Thema, aber je älter man wird um so mehr rechnet man auch damit, deshalb ist es gut, sich rechtzeitig Gedanken zu machen. Dann noch deine Filem. Vorgestern haben wir den Palast des Postboten geschaut, sehr traurig schön und deine Begeisterung darüber ist absolut nachzuvollziehen. Den Kainer habe ich jetzt auch schon gerade mit Mediathekview heruntergeladen und wir freuen uns darauf. Heute fahre ich wieder bei euch vorbei zu meinem Vater, da treffe ich mich mit meinen Fahrradkumpels und wir planen unsere diesjährige Fahrradtour.

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    1. Wie jetzt? Hier vorbei fahren und nicht klingeln? 😉
      Es freut mich, dass euch der Film gefallen hat.

      Tja, das Lebensende kommt ganz von selbst auf uns zu, da müssen wir garnichts dazu tun. Es ist gut, sich rechtzeitig damit vertraut zu machen.

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    1. Im konkreten Fall gab es ja zwei feine Reden. Dagegen wird das Gesülze des Bestatters bal vergessen sein. Bleibt zu hoffen, dass der eine oder die andere was draus gelernt hat für spätere Beerdigungen.

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      1. viermal redete ich jetzt schon bei bestattungen, immer mit der absicht, den gestorbenen menschen in unsere mitte zu holen. ich glaube, es ist mir gelungen. zur zeit lese ich nun ein buch: Das Geheimnis eines guten Lebens, Carl Achleitner, edition a,
        regt mich an über den tod nachzudenken und über den umgang in unserer gesellschaft. das buch wurde in einem blog vorgestellt. es berührt mich sehr. so trostlose bestattungen habe ich bei meinen eltern erlebt. und die bestatter habe ich auch als unangenehm erfahren, meine unerfahrenheit ausnutzend. einmal habe ich geld von der rechnung abgezogen, weil die leichenwäsche im altersheim und beim bestatter berechnet wurde, da glaubte ich dem heim. mit solchen dingen möchte ich nie mehr zu tun haben, und ich werde es auch in meiner familie/freunden immer wieder anregen, mut zur persönlichen abschied zu haben. hab es gut, lieber robert, gruß roswitha

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        1. Das ist doch sehr schön, wenn dir deine Trauerreden so gut gelingen, dass man den Verstorbenen ganz nahe spürt.
          Nach dem Buch von Achleitner werde ich schauen.
          Ich wünsche dir einen schönen Abend, Roswitha,
          Robert

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  3. Wie ein kluges sterbephilosophisches Grundseminar. Mit Ausführungen zu entstehenden Kosten, wobei man sich sehr vor so manchem Bestattungsgauner in acht nehmen muss! Und das mit den Engeln erinnert mich wieder an die Frage meines kleinen Sohnes, ob er vor seiner Geburt tot gewesen sei! –
    Schönen Sonntagsgruß von Sonja

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    1. Die kleinen Kinder wissen garnicht, welch ein grosses Wissen sie in sich tragen.

      Die Bestattungsbranche setzte 2012 ca. 1,5 Mrd. p.a. Euro um. Für das nächste Jahr werden knapp 3,0Mrd. erwartet. 100% Plus in 13 Jahren. Davon können andere Branchen nur träumen. Und dabei werden es immer weniger Erdbestattungen. Aber auch zum Verbrennen ist ein Sarg vorgeschrieben. Der wird dann ratzfatz in den Ofen geschoben und weg isser. Fast niemand weiss, dass es dafür Kartonsärge für wenige Euros gibt. Und der ganz Firlefranz drumrum ist nur ausgeliehen und zig Male wiederverwendet.
      Ich hör´ ja schon auf…

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      1. Die kleinen Kinder haben es einfach – und verlieren es leider irgendwann.
        Hier habe ich jetzt zumindest zwei wichtige Dinge gelernt: das mit dem gewissen DHL-Service und das mit den Kartonsärgen. Dankeschön aber auch!
        Gruß von Sonja

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    2. in dem von mir empfohlenem buch von carl achleitner ist ein wunderbarer text von woody allen(next life), das leben rückwärts. er beginnt mit dem tod, alle stationen des lebens, inkl. schwangerschaft unter“luxuriösen, spa-ähnlichen bedingungen“ mit allem. schlußsatz: „und dann voila- du stirbst als orgasmus!“

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  4. Bestattungen sind so ein Thema – ich denke eher an das was ich hinterlassen werde, an Dinge die in meinen Augen wertvoll, in anderen Augen Müll sind. Wer sichtet meine tausende digitale Fotos? Eigentlich sollen meine Nachfahren keine Arbeit mit mir haben, das wäre mir (derzeit) wichtig.
    Ich renoviere, auch derzeit – bzw. lasse renovieren, was ich nicht kann oder schlicht die Zeit nicht habe. Der Raum mit den meisten greifbaren Medien (lesen – hören – sehen) ist jetzt nahezu leer. Befreiend und voller Hall – ich höre mich selbst, statt andere. Wieder zurück soll nur noch maximal die Hälfte, welche ist noch nicht geklärt. Das wird was.

    Der Film über Herrn Kainer ist klasse, habe ihn vor wenigen Jahren gesehen. Eine Rolle, die zu Martin Wuttke toll gepasst hat, besser als seine Tatort-Auftritte, das lag aber auch an anderen Dingen.
    Relativ aktuell gesehen auf arte habe ich „Mein Falke“, ein unauffälliger deutscher Fernsehfilm, kein großes Kino, nichts Besonderes, nur eine ‚einfache‘ sehenswerte Geschichte.

    So. Das waren meine Worte zum Jahresbeginn, einen guten solchen wünsche ich – wenn ich auch noch nicht dahintergekommen bin, was sich in der Silvesternacht tatsächlich ändert. Eben von Menschen gemacht (der Jahreswechsel).
    Beste Grüße!

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    1. Das ist auch mein Wunsch: dass wenig Arbeit für die Nachkommen übrigbleibt. Ich weiss, wovon ich rede, ich habe einige Immobilien meiner Vorfahren abarbeiten müssen. Grausige Plackerei.
      Jetzt in unserem Alter noch mal renovieren, das halte ich für sinnvoll. Mit 80 werde ich mir keine Couchgarnitur mehr wollen; so wie unser Nachbar vor kurzem.
      Vielen Dank für den Hinweis auf Mein Falke. Ich brauche keine grossen Erregungen mehr. Deshalb hat auch der neue Film von Wenders Perfect Days gut gefallen.

      Ich wünsche reibungslose Renovierungen und sende
      beste Grüsse!

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  5. Meine Mutter starb fünf Tage nachdem mein Enkel geboren wurde.
    Ein lieber, ehemaliger Kollege starb und wir gingen an zwei Tagen nacheinander auf Beerdigungen.

    Im Herbst starb die Lieblingstante meiner Freundin.

    Nun sind nur noch Tante Rosi mit 85 Jahren, mein Schwager Günni mit 79, meine Schwester mit 70 Jahren… dann komme schon ich mit meinen 65 Lenzen…

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    1. Man steckt wirklich nicht drin. Andererseits ist es vielleicht gut, dass wir nicht wissen, was auf uns zukommen wird.
      Ich wünsche dir noch nahcträglich ein gutes 2024er Jahr

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  6. beschämend schlechte standarttexte bei beerdigungen sind wirklich schlimm. das runterrattern von ein paar informationen. ich habe das auch mal erlebt und empfand es irgendwie als unwürdig. dem verstorbenen menschen gegenüber. es war so, als hätte niemanden diesen menschen gekannt, so reduziert auf diese abfolge von daten und „trockenen informationen“: geboren dann und dann, zur schule da und dort, ausbildung da und da und so weiter. schlimm. so lieblos.
    erst gestern bekam ich zwei beschreibungen von trauerfeiern, die „würdig“ waren. hat mich sehr berührt.
    es wird viel gestorben diesertage. ich möchte dennoch meinen beruf nicht tauschen wollen, diese arbeit nicht machen wollen und habe großen respekt davor. es gibt hier, wie in allen bereichen und branchen „gute und schlechte“. ja.

    nun fällt der übergang etwas schwer, also einfach frei heraus:
    ich wünsche dir ein glückliches und schönes neues jahr.

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    1. Natürlich gibt es „Gute und Schlechte“. So ist das Leben, so sind die Berufstätigen. Was die Bestatter so anfällig macht, so leicht verführt, ist das Ausgeliefertsein der Hinterbliebenen. Trauer ist ein fundamentales Gefühl. Das sind Menschen fast wehrlos. Und die Verführung, das fürs eigene Geschäft auszunutzen ist enorm gross.

      Vielen Dank für deine guten Wünsche, die ich gerne auch zurücksende,
      Robert

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        1. Natürlich ist das eine Floskel. Schliesslich kassiert er z.B. ja auch bei den Blumenlieferanten eine Courtage als Vermittlung für den Blumenschmuck.

          Wie immer im Leben: sich selbst kümmern. Kostet etwas Zeit aber spart u.U. viel Geld, ist aktive Trauerarbeit und ist eine Liebsarbeit für den verstorbenen Menschen.

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  7. Wie deine Überschrift schon sagt, das Leben besteht aus so Vielem und alles hat seine Zeit. Schön, wenn persönliche Worte und Musik auf Abschiedsfeiern Raum finden. Auch den alten Gedanken der tanzenden Engel finde ich aufhebenswert.
    Dieses reichhaltige endliche Leben… leben, trauern, feiern..

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    1. „Dieses reichhaltige endliche Leben“ – ein schöner Satz.
      Dieses immens reichhaltige und doch endliche Leben – man sollte sich das öfter bewusst machen und entsprechend handeln.

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