Die Zeit im Café Fuchs

Ein Zuhause fand sich überall nur nicht zuhause. Vielleicht wäre ich mit jedem mitgegangen, wenn das Ziel nur verlockend genug die Phantasie beflügelt hätte. Ich hatte viel Glück damals.

Was geht ab heute?
Geh halt mal mit.
Wohin gehts?
Ins Café Fuchs.

Ob sich noch jemand an das Café Fuchs erinnert? Nur fünf Strassen entfernt von unserem Haus. Die Häuser in der kurzen Strasse wurden vor 1914 erbaut. Haus neben Haus. Nur durch die Hoftore getrennt. Nichts wies auf ein Café hin. Das Hoftor stand offen. Wir gingen durch den Hof. Die Haustür lag an der Rückseite links um die Ecke. Der Hausherr, ein alter Mann grüsste uns. Wir grüssten zurück. Ich war unsicher. Für dreizehnjährige Burschen sind erwachsene Männer stets uralt. Wir gingen runter in einen Keller. Ich betrat eine neue Welt.


Ein kleiner Kellerraum. Die Wände waren mit Schwartenbrettern  vernagelt. Es sah aus wie in einem Blockhaus. Ein roter Strahler. Ein blauer Strahler. Ein gelber Strahler. An – aus. Ich sah die erste Lichtschau meines Lebens. Klar, im Fernsehen hatte ich schon den Beat-Club gesehen mit den Lightshows. Aber hier war ich selbst dabei. Ich erkannte einige Leute im Dämmerlicht. Ah, von den Pfadfindern waren auch welche hier. In einer Ecke war eine winzige Theke. Darauf stand ein Plattenspieler. Daneben ein Regal voller Singleschallplatten. An den anderen drei Wänden standen Sofas. Sie waren teilweise besetzt.
Die beiden Fuchs Brüder waren Lehrlinge. Ihre kleine Schwester kannte ich aus der Grundschulzeit. Während der ganzen Zeit, in der ich von nun ab das Café Fuchs aufsuchte, sah ich sie nur sehr selten. Die kleine Schwester. Ich war sicherlich der Jüngste. Das war aber kein Problem. Es waren andere Zeiten. Damals.
Nur die Musik war mir fremd. Die Singles hatten durchweg die roten Etiketts von Atlantic. Meine Singles hatten welche von Odeon, Decca oder Fontana. Beatles, Rolling Stones, Manfred Mann. Lauter neue Namen las ich hier. Otis Redding, Joe Tex, Aretha Franklin, Percy Sledge. Soulmusik. Wilson Pickett, Roberta Flack, Sam & Dave. Die Texte verstand ich noch schlechter als von der Musik, die ich hörte.Die Älteren tanzten dazu. Mich riss die Musik nicht vom Sofa. Wenn die kleine Schwester vielleicht mal im Keller aufgetaucht wäre. Ach was, ich hätte mich eh nicht getraut. Ich trommelte den Rhythmus mit auf den Oberschenkeln.


Die Atmosphäre und die Stimmung im Keller zog mich magisch an. Musik hin oder her. Jedes Mal wenn ich in den Keller gegangen bin war einer Brüder im Café und legte auf. Selbst auflegen durfte man nicht. Waren beide Brüder nicht im Café brannte nur eine Kerze und es war merkwürdig still. Keine Musik und keine flackernden bunten Strahler. .

Das Café Fuchs gibts schon ewig nicht mehr. Irgendwann fanden einen anderen Ort interessanter. Die älteren hatten ihre Lehren beendet. Gymnasiasten hatten ihre Studienplätze. Einige Menschen, mit denen ich danach noch zu tun hatte, hat es später beruflich in andere Gegenden verschlagen. Manche sind bereits gestorben.
Ich habe keine Ahnung, warum dieser Keller Café Fuchs hiess? Mir fällt eben ein, dass fast garnicht geraucht oder getrunken worden ist. Doch, es muss geraucht worden sein. Mir fallen einige Leute ein, die ihre Zigaretten selbst gedreht hatten. Ich selbst durfte mir in dieser Zeit jeden Monat eine Stange Kent bei meinem Grossvater abholen.
Einige Jahre später habe ich mir eine Langspielplatte mit Soulmusik gekauft. Ich hätte damals nicht geglaubt, dass mir diese Musik viele Jahre später so viel Freude bereiten würde..

Ob sich heute noch jemand an die Zeiten im Café Fuchs erinnert? Für mich war das Café für zwei, drei Jahre eine Heimat. Wenn die Kellertür ins Schloss fiel, die Lampen aufleuchteten und die Musik erklang war ich eins mit der Welt.

 

 

26 Gedanken zu “Die Zeit im Café Fuchs

  1. Was für eine schöne Erinnerung,
    die bis heute ausstrahlt und immer wieder abgerufen werden kann durch Musik. Sehr schön beschrieben die ‚erste Liebe‘, auch wenn sie platonisch war und das Zeitkolorit war für mich gut nachvollziehbar, auch wenn ich auf der anderen Seite aufgewachsen und eher der Literatur zugeneigt war. Das Lesen ist ein schöner Start in den Tag und wird mich gedanklich sicher auch in die Vergangenheit führen.
    Danke😉

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    1. Mich haben mehrere dieser Erinnerungen letztendlich immer wieder gerettet. Ich trage nicht nach, aber ich vergesse nicht.
      Was die kleine Schwester der Brüder Fuchs betrifft, es war keine erste Liebe, nicht mal eine platonische Anhimmelung. Die Beschreibung wirft ein schwaches Licht auf meine damaligen Zustände. Zum Glück ahnte ich damals nicht, dass sie mich noch längere Zeiten begleiten sollten.

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  2. So waren die ersten „Underground-Club“! Hier in Essen, war es das schummerige „Pop-In“, mit einer metallenen Tanzfläche, worauf das Tanzen mit Eisen-beschlagenen Schuhen zur Soul-Musik besonders knallte! Fun, fun, fun! Die Polizei hatte auf den Laden schon ein Auge drauf, war allerdings, ob der verdächtig riechenden Quellwolken völlig ahnungslos. Die rauchten teilweise, die ihnen angebotenen leckeren Zigaretten, lustig mit…

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    1. Aah, metallne Tanzflächen. Da erinnere ich mich an zwei Etablissements, die wir auch regelmässig frequentierten.
      Es waren genau die Zeiten, als es noch keine abgerihcteten Hunde gab. Die schnellen Fahrten nach Holland waren noch völlig unkompliziert. Man hat erst nach und nach verstanden wie man riechen und wohin man schauen muss. Ein Stück Löschblatt mit unscheinbaren Pünktchen drauf ging noch lange durch…

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  3. Damals noch auf der gleichen Rheinseite lebend, kannte ich dieses Cafe Fuchs nicht, doch eine ähnlich verruchte Heimstatt war für mich das La Boheme in Lampertheim. Pfadfinder waren dort nicht anzutreffen, was mir bei deiner kleinen Geschichte recht sehr gefällt. Ich wundere mich über den Kent-Großvater…tse, tse.

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    1. Ich glaube ausserhalb unseres Kaffs kannte niemand dieses famose Café.
      Ja, der Kent-Grossvater. Kentraucher, Merceds-SL Fahrer. Immer aus dem Ei gepellt mit Massanzügen und Manschettenknöpfen. Er starb überraschend. Ich war erst sechzehn. Danach rauchte ich Gauloises bleue und Roth-Händle bevor ich endgültig zu drehen begann.

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      1. Ja, genauso bei mir, mit filterlosen Gaulloises ging es los, dann 40 Jahre selbstgedrehte Gauloises. Dann Raucherbein bzw Schaufensterkrankheit, OP und Schluß mit lustig! Also Tipp für Leute, die ihre Raucherkariere beenden wollen: Lass dich operieren!

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        1. Da habe ich ja Glück gehabt. Mit zehn leicht angefangen und vor etwa zehn Jahren definitiv mit schwarzem Samson aufgehört. Ab etwa dreissig immer wieder mal spontan aufgehört für ein, zwei Jahre. Und genauso wieder angefangen. Eine Zichte nach dem Abendessen und ich war wieder dabei. Es ist meiner meinung nach eine reine Willenssache.
          Schaufensterkrankheit? Nie zuvor gehört. Mal nachgeschaut: das ist ja schrecklich.

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          1. Es ist noch nicht all zulange her, da wäre das Bein ab gewesen. Glück gehabt: es wurden verengte bzw. verschlossene Gefäße mit körpereigenen Gefäßen überbrückt. Seit 10 Jahren alles wieder gut!

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  4. „Ich trage nicht nach, aber ich vergesse nicht.“ – Ein klasse Satz, von Zeit zu Zeit überkommt es einen jedoch und tagesaktuelle Geschehnisse lodern im Hintergrund.
    Tolle Erfahrungen. Das durfte ich alles nicht, obwohl jünger. Strenges Elternhaus, alles was nach 18 Uhr draußen geschah, war nah am Drogensumpf und der Schwerkriminalität. Technische Geräte im Haushalt drohten mit Verarmung wegen dem Stromverbrauch. Aber es gibt immer Wege, man muss sie finden wollen, dann sieht man sie. Geraucht habe ich nie, nur massiv passiv. Da sind wir aber wieder beim ersten Satz.
    Beste Grüße.

    P.S.: „Kleine Schwester“, übrigens ein Liedgut von Selig mit schönen 70er Anleihen…. mal wieder anwerfen und durchziehen, ach, ich mag die Seligen einfach.

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    1. Wenn wir nur immer im Griff hätten, was in unseren HIntergründen lauert…
      Bei mir hatten sie irgendwann aufgegeben. Ich brauchte nur zu sagen: Pfadfinder! Es waren ja meine Abgründe, in die ich gefallen bin. So wurde mir fünfundzwanzig Jahre später erzählt. Mir haben diese frühen Erfahrungen jedenfalls den unbestechlichen Blick für die Wirklichkeit geschärft. Bis heute. Da werde ich demnächst etwas dazu schreiben.

      Selig ist auch so eine Band, die an mir vorbeigespielt hat. Alles kann man nicht kennen. Aber Kleine Schwester hat mir gut gefallen.

      Vielen Dank dafür und ein schönes Wochenende,
      Robert

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    1. Ich fürchte, alte Cafés mit Tradition sterben mit den Beschleunigungen unserer Zeit nach und nach dahin. Das letzte habe ich in Warschau besucht. Plüschsofas, alte Damen unter aufsehenerregenden Hüten und Kellner mit bodenlagen Schürzen und weissen Jacketts…

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